Roma und Sinti, Jenischen

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Interkulturelle Stadtführungen in Berlin

Individuelle Stadtführungen nach Maß

In der Berliner Geschichte erwies sich die christlich-geprägte Mehrheitsgesellschaft gegenüber Roma und Sinti oft als wenig tolerant und nächstenliebend. Wie lebt es sich hier als Rom oder Sinto und als Minderheit? Wozu brauchen Völker und Glaubensgemeinschaften immer wieder äußere Feinde und auch Sündenböcke, wer wird dabei ausgegrenzt? Über keine Gruppe in unserer Gesellschaft wissen wir so wenig wie über Zigeuner oder Roma und Sinti. Wer sind sie überhaupt, warum nehmen wir sie oft nur als Bettler war?

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Dahmetal

Dahmetal

Grundlegendes über Roma und Sinti

Der Begriff „Zigeuner“ ist in Europa seit dem 14. Jahrhundert gebräuchlich. Die Herkunft des Wortes ist bis heute nicht geklärt. Es wird genauso von „Athinganoi“ (griech.; Unberührbare) hergeleitet wie von „Samkeri“ (arab.; Blechschmied), vom persischen Begriff „Ciganch” (pers.; Musiker, Tänzer) und noch aus anderen Sprachen. Im deutschen Sprachverständnis wurde es später populär-etymologisch auf „(umher-)ziehende Gauner“ zurückgeführt. Durch dieses Missverständnis, das bis heute anhält, wird seit den 1980er Jahren „Roma und Sinti“ als respektvollere Bezeichnung verwendet. „Roma“ leitet sich aus dem Romanes ab, der Sprache der Roma und Sinti, die ihrerseits ihre Wurzeln im indischen Sanskrit hat: aus „Rom“ (Romanes; Mensch). „Sinti“ wird heute auf die indische Landschaft Sindh oder den Fluss Sindhu zurückgeführt.

Angenommen werden heute vor allem zwei große Wanderungen, über die die Roma und Sinti nach Europa gelangt sind, deren Vorfahren vor allem im Punjab, in Norden Indiens und in Pakistan lebten.

Die erste Wanderung begann vor etwa eintausend Jahren. Sie verlief über Persien, Armenien und Kleinasien nach Griechenland. Diese Gruppe lebte später vor allem im osteuropäischen Raum und bezeichnet sich heute selbst als „Sinti“. Durch die Teilung Polens lebten die dort lebenden Sinti plötzlich in Preußen, somit später im Deutschen Reich. Viele Familien wanderten in dieser Zeit nach Westeuropa und nach Nord- und Süd-Amerika aus. Mit der deutschen Industrialisierung wanderten ab dem Ende des 19. Jahrhunderts während der Binnenwanderung Sinti zusammen mit anderen Polen als Arbeitskräfte aus dem Osten des damaligen deutschen Staatsgebietes in die westdeutschen Industriezentren und in die Großstädte. Daneben sind viele Sinti zusammen mit osteuropäischen Juden vor allem  aus den polnischen Gebieten des damaligen Russischen Reiches vor den dortigen Pogromen nach Deutschland geflüchtet und von dort oft auch wieder weiter nach West-Europa und Amerika.

Löcknitztal

Löcknitztal

Die zweite Wanderung begann bereits im 9. und 10. Jahrhundert mit der Islamisierung Nordindiens. Als Militärsklaven – zuerst noch gegen das oströmische Reich und Konstantinopel (heute Istanbul) – gelangten noch im 11. Jahrhundert bis zu einer halben Millionen Menschen vorwiegend als Militärklaven bis auf den Balkan und auch in die maurischen Gebiete auf der spanischen Halbinsel. Vom Balkan aus flüchteten viele später nach Mittel-Europa; andere wurden aus den vorher maurischen Gebieten in Spanien im Rahmen der „Reconquista” vertrieben und gelangten über Frankreich nach Mittel-Europa. Diese gesamte Gruppierung bezeichnet sich selbst als „Roma“.

Es kam zu Vermischungen, und es scheint manchmal eher mit Vorlieben und Sympathien zusammenzuhängen, dass sich die Mehrheit der in Mittel- und West-Europa lebenden Familien heute zu den Sinti rechnen.

Die Sprache der Roma wie auch die der Sinti wird als „Romanes“ bezeichnet, die mit der Zeit in viele regionale Dialekte zerfallen ist. In den unterschiedlichen europäischen Regionen, in denen die Roma und Sinti lebten, nahmen sie die lokal üblichen Religionen an. Die meisten hier lebenden Roma und Sinti waren Katholiken.

Havelland

Havelland

Bis zum Porajmos

Das erste Mal wurde das Erscheinen der Roma auf deutschem Boden 1407 in Hildesheim dokumentiert. Kaiser Sigismund von Luxemburg stellte sie 1423 unter den Schutz des Römischen Reiches deutscher Nation. Die ersten achtzig Jahre gelten bis heute bei den Roma und Sinti als das „goldene Zeitalter“. Ihnen wurde eine eigene Gerichtsbarkeit in Streitfällen innerhalb ihrer Gemeinschaften zugestanden. Zu verdanken waren die Privilegien wohl vor allem einer Mode des Adels und der Rittergesellschaft: ihrer Vorliebe für Musik und Zerstreuung. Außerdem waren ihre Fähigkeiten in der Gold- und Kunstschmiedearbeit, im Musikinstrumentenbau und in der Waffenherstellung gefragt.

Von den etablierten Zünften wurden die Roma als Konkurrenten betrachtet, denen man sich entledigen wollte. Auch die Kirche betrachtete die Roma mit Misstrauen, weil sie sich auf Jahrmärkten als Zauberer und vor allem die Frauen auch als Wahrsagerinnen verdingten. Die Roma wurden für Krankheiten und Plagen verantwortlich gemacht, galten als „jüdisch versippt“ und wurden der Hexerei beschuldigt. Um 1500 wurden die Schutzbriefe Kaiser Sigismunds widerrufen. Vorreiter der Verfolgung der Roma war der brandenburgische Kurfürst Albrecht Achilles, der bereits 1482 den Aufenthalt der Roma in Brandenburg verbot. Die Roma wurden für vogelfrei erklärt, sie durften gejagt und ermordet werden. 146 Zigeuneredikte sind bis zum Jahre 1774 nachgewiesen. In ihnen sollten Zigeuner gestäubt, gebrandmarkt, aus dem Land verwiesen, ertränkt oder anderweitig mit dem Tode bestraft werden. Diese Maßnahmen entsprechen auch den Judenverfolgungen in dieser Zeit. Viele Roma lebten nun in Wäldern und zogen in abgelegene Gebiete. Eine Atempause brachte der Dreißigjährige Krieg (1618-1648), als die Roma plötzlich als Söldner gefragt waren.

Rauener Berge

Rauener Berge

Erst im ausgehenden 17. Jahrhundert wurde wenigstens die physische Existenz der Roma geduldet. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie sich vor allem als Künstler und Artisten, Musikanten, Kesselflicker und Händler. Mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts versuchte man nicht nur in Preußen, die Roma mit drastischen Maßnahmen sesshaft zu machen. Damit ging einher, ihnen ihre Kinder wegzunehmen und in preußischen Waisenhäusern zu erziehen, um sie vom „herumstreunenden Zigeunerleben“ abzubringen. Das den Roma in Wirklichkeit aufgezwungene Zigeunerleben wurde in der Romantik schließlich verklärt („Lustig ist das Zigeunerleben“). Zu einer Toleranz gegenüber den Roma und Sinti führte die Romantisierung der Ächtung allerdings nicht.

Nach der Gründung des Deutschen Reiches mussten sich die Gemeinden verpflichten, an festgelegten Stichtagen den Roma und Sinti auf ihrem Gebiet die Bürgerrechte zuzuerkennen. Die Folge waren regelrechte Hetzjagden auf die Menschen, um sie zwischen den Gemeindegebieten hin und her zu vertreiben, auch durch Morde. Zur gleichen Zeit etablierte sich in Deutschland eine koordinierte antiziganistische Repression. Ihnen wurde die Ausstellung von Gewerbescheinen versagt, Roma und Sinti ohne deutsche Staatsbürgerschaft wurden zur nächsten Staatsgrenze deportiert und abgeschoben. Mit der Industrialisierung in Deutschland wanderten nicht nur Sinti aus den polnischsprachigen Gebieten nach Westen in die Industrie- und Ballungszentren. Mit dem Ende der Leibeigenschaft in Rumänien wanderten nun auch von dort rumänische Sinti als Arbeitskräfte nach Deutschland ein.

Havel

Havel

In Bayern hatte man bereits seit 1826 mit der systematischen Überwachung der Roma und Sinti begonnen. 1911 wurden allen Roma und Sinti die Fingerabdrücke abgenommen. Nachdem auch Roma und Sinti im Ersten Weltkrieg als Soldaten auf deutscher Seite gekämpft hatten, führte Bayern in der Weimarer Zeit das erste Sondergesetz („Zigeuner und Arbeitsscheuen-Gesetz“) ein und richtete die Zigeunerpolizeistelle beim Münchner Polizeipräsidium als gesamtdeutsche Erfassungs- und Überwachungsstelle ein. Darauf bauten die Nationalsozialisten später ihre Vorbereitungen zum Völkermord auf. Auf ihr basierten bereits 1936 gezielte Razzien auf Roma und Sinti, viele wurden in Bayern in das Konzentrationslager Dachau verschleppt, in Berlin-Marzahn wurde am Wiesenburger Weg ein so genanntes Arbeitslager für Zigeuner errichtet. Die meisten Gefangenen wurden schließlich nach Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort ermordet. 1938 wurde die Münchner „Zigeunerdienststelle“ in „Reichskriminalamt zur Bekämpfung des Zigeunerwesens“ umbenannt und in das Zentrale Reichskriminalamt in Berlin eingegliedert. Etwa eine halbe Million Roma und Sinti wurden in den Konzentrationslagern ermordet; wohl auch weit über hunderttausend starben durch die deutschen Erschießungskommandos in den besetzten Gebieten. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt. Ähnlich wie der unter vielen Juden gebräuchliche Begriff der „Shoa” (hebr.; Katastrophe, Untergang) haben auch die Roma und Sinti für den organisierten Massenmord durch die Deutschen mit Porajmos (Romanes; das Verschlingen) einen Begriff gefunden.

Prignitz

Prignitz

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Familien, die wichtigsten sozialen Orientierungen und die damit verbundenen Auffangnetze für den Einzelnen in einer feindseligen Gesellschaft, zerstört. Die deutschen Roma und Sinti waren bis auf einen kleinen Rest fast vollständig ausgerottet. Die wenigen Überlebenden kehrten nach dem Krieg meistens in ihre Heimatstädte zurück.

Die systematische Erfassung, Registrierung und Überwachung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf Grundlage der Karteien der SS weitergeführt, selbst die Nummern aus den Konzentrationslagern wurden in der BRD übernommen. Die so genannten „Landfahrerzentralen“ der Polizei führten die systematische Erfassung der Roma und Sinti durch. Die ehemalige „Berliner Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerwesens” wurde nach München ausgelagert und nahm dort ihre Tätigkeit sofort wieder auf. Im gleichen Jahr erließ Bayern die „Landfahrerverordnung“. Die Behörde in München arbeitete bis 1970, danach wurde ihre Arbeit dezentralisiert. Baden-Württemberg war Vorreiter mit der Herausgabe eines „Leitfadens zur Bekämpfung des Zigeunerwesens“ an Beamte, „bis zur endgültigen Lösung des Zigeunerproblems“. Das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1956 bekräftigte, dass es sich bei den Deportationen der Roma und Sinti in die Konzentrationslager nicht um eine Verfolgung aus „rassischen Gründen“ gehandelt hätte wie bei den Juden, sondern um eine kriminalpräventive Maßnahme. Auch das den Menschen geraubte Vermögen fiel an die Bundesvermögensabteilung und später an die Bundesregierung. Seit 1981 wird beim Bundeskriminalamt eine Sonderdatei für Roma und Sinti geführt, in der Fingerabdrücke und Kraftfahrzeuge gespeichert sind.

Schlaubetal

Schlaubetal

Weiterhin wurden Menschen zwangsweise sesshaft gemacht. Von behördlicher Seite betrachtete man Roma und Sinti mit herablassendem Wohlwollen als „Problemfamilien“ und „fremdartige Randgruppen“. Unbekannt ist die Zahl der Roma und Sinti, die seit den 1960er Jahren als Gastarbeiter aus Südeuropa, von der iberischen Halbinsel oder aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind.

Vorwiegend in den Sommermonaten reisen heute vor allem west- und nordeuropäische Familien durch Europa und somit auch durch Deutschland und Berlin. Grundlage dafür ist das Besson-Gesetz von 1990, wonach jede Kommune mit mehr als 5.000 Einwohnern dazu verpflichtet ist, einen Durchreiseplatz für Roma- und Sinti-Familien einzurichten.

Erst der deutsche Bundespräsident Roman Herzog stellte in seiner Heidelberger Rede 1997 den Massenmord an den europäischen Roma und Sinti unter dem Nationalsozialismus auf eine Stufe mit dem an den europäischen Juden. Ein Jahr später unterzeichnete Deutschland das Minderheitenschutzabkommen des Europäischen Rates, das die Roma und Sinti als Minderheit in Deutschland anerkennt – neben den Dänen in Schleswig, den Friesen und den Sorben.

In vielen Ländern der Europäischen Union müssen sich Roma und Sinti durchkämpfen. Viele machen bis heute die Erfahrung, dass sie unerwünscht sind. Auch in Deutschland haben sie noch immer mit großen Problemen zu kämpfen, vor allem mit Vorurteilen, die ihnen entgegengebracht werden. Bis heute gibt es für sie kein Integrationsprogramm.

Viele Roma und Sinti verleugnen ihre Wurzeln. Die Zahl der in Europa lebenden Roma und Sinti wird auf etwa 9 Millionen geschätzt, in Deutschland auf zirka 120 000.

Berlin-Tiergarten, Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma

Berlin-Tiergarten, Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma

Jenischen

Als Jenischen werden seit dem Mittelalter gesellschaftliche Randgruppen bezeichnet, die ursprünglich möglicherweise von Italien aus nach Mittel-Europa eingewandert sind und irrtümlich mit den Romani-Gruppen in Verbindung gebracht werden. Ihre Existenz wurde in einem Würzburger Kirchenbericht 1247 erstmals auf deutschem Boden erwähnt. Ihre Sprache steht im Zusammenhang mit dem Rottwelsch, im Mittelalter eine so genannte Geheimsprache von Landstreichern, Bettlern und Gaunern. Im 19. Jahrhundert wurde die an den Rand gedrängte Armutsgesellschaft, vor allem das „fahrende Volk“, generell mit dem Begriff in Verbindung gebracht und mit den Roma und Sinti gleichgesetzt. Auch heute gibt es noch einige „Jenischen“, aber die Wenigsten fahren heute noch über das Land.

Mittelmark

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